Junghans pflegte mit verschiedenen Firmen unterschiedlichste Kooperationen. Leider ist nur wenig bekannt, die Archive in Schramberg sind durch Besitzerwechsel arg dezimiert.
Vielleicht kann hier nach und nach ein wenig Licht in so manche Zusammenarbeit gebracht werden (siehe auch: Der Ingersoll-Report)…
Aber zunächst zurück zum WESTCLOX-Rätsel!
Die in der Stadt Peru in Illinois/USA ansässige Firma wurde im Jahr 1887 gegründet (damals noch WESTERN CLOCK CO.) und ist berühmt für die sogenannten „Dollar Watches“ – günstige Taschenuhren, die ihren Produktionszenith mit 15.000 Uhren pro Tag im Jahr 1920 fanden. Bis zum Jahr 1930 schob der Konzern insgesamt 50.000.000 Uhren auf den Markt. Auf den Zifferblättern steht zwar "La Salle, Ill., USA", trotzdem hatte die Firma ihren Hauptsitz in Peru, Illinois.
Unter dem Namen WESTCLOX, DIVISION OF GENERALTIME CORPORATION firmierte das Unternehmen von 1936 bis 1969.
In alten Kaliberlisten existiert ein Junghans-Kaliber J56. In dieser Kaliberliste ist ein Zusammenhang mit der Firma Westclox verzeichnet.
Bei diesem Kaliber handelt es sich um ein einfaches Pfeilerwerk mit Stiftankerhemmung, das wohl um 1956 produziert wurde. Angeblich gibt es auch eine Version mit exzentrischer Sekunde, die allerdings nur im Jahr 1956 gefertigt wurde und Kaliber J56/1 genannt wurde.
Auf Grundlage des gleichen Kalibers existiert eine Automatik Version.
Dass Junghans und Westclox kooperiert haben, zeigt folgender Uhr. In ihr tickt ein wohlbekanntes Junghans 693.82 (J93/1) (zum Vergleich siehe: The watch Bob gave Charley – The Sabre Series und auch: Junghans J93/1; 693.82).
In der Regel waren bei den von Junghans gelieferten Uhren die Werke mit GERMANY gelabelt, ebenso häufig das Zifferblatt und der Boden.
Das erste gezeigte Kaliber J56 ist leider in einem erbärmlichen Zustand. Der Bodendeckel fehlt, somit ist unklar, ob dort GERMANY geprägt gewesen ist. Das Handaufzugswerk hat einen Durchmesser von 25,55 mm, also ca. 11 1/4´´´ (die zifferblattseitige Platine) und max. 23,50 mm, 10 1/2´´´ auf der bodenseitigen Platine.
Leider fehlen einige Teile des Werkes, unter anderem das Mittelsekundentrieb. Die Uhr hätte also eine zentrale Sekunde.
Auf dem Zifferblatt steht unter der 6: LA SALLE ILL. U.S.A. Interessant wird es, wenn man einen Blick auf die Rückseite des Zifferblattes wirft. Hier hat es sich der Produzent nicht nehmen lassen, seine Herkunft aufzustempeln: GERMANY.
Auf der unruhseitigen Werksplatine ist wieder GERMANY eingeprägt.
Vom gezeigten Werk gibt es auch eine Automatik-Variante mit diversen GERMANY Stempeln und Prägungen – auf dem Zifferblatt (bei 6), auf der Werksplatine und auf der Innenseite des Bodendeckels:
Der Bodendeckel der Rotschrift-Variante hat eine Nummer, der Rest ist identisch mit der oben gezeigten Uhr (schwarzes Self-Winding). Die Maße der Grundplatinen sind identisch mit der erstgezeigten Handaufzugsvariante.
Das Kaliber Westclox W4 sieht dem gezeigten Handaufzugswerk nicht nur sehr ähnlich, es scheint das gleiche zu sein:
Laut Aussage eines ehemaligen Junghansmitarbeiters hat Junghans um das Jahr 1960 für Westclox in Amerika einen Auftrag angenommen und ausgeführt. Es sollte ein nach amerikanischen Maßstäben sehr billiges Werk für eine Armbanduhr gefertigt werden, die zum Beispiel beim Kauf eines Anzugs als Werbegeschenk überreicht wurde.
Lohnend für Junghans wurde der Auftrag nur durch den damaligen Umrechnungskurs 1 Dollar = etwa 4,20 DM.
Ursprünglich wurde das Kaliber J55 genannt, hier gab es jedoch eine später festgestellte Überschneidung mit dem Taschenuhrkaliber J55 (siehe weiter unten). Daher wurde die Nummer fortgesetzt und das für Westclox produzierte Kaliber bekam die Nummer J56.
Bill Stoddard und Gary Biolchini aus den USA haben glücklicherweise ein wenig weiterhelfen können. Bill Stoddard beschäftigt sich schon lange mit Westclox-Uhren und hat eine schöne Webseite: www.billsclockworks.com
Gary Biolchini hat schon einiges über Westclox publiziert u.a. das Buch: Westclox: An Identification And Price Guide
Beide sind ausgewiesene Westclox-Spezialisten und Gary Biolchini hat über Bill freundlicherweise (DANKE, BILL und GARY!) einige Bilder von Konstruktionsplänen geschickt, die die Zusammenarbeit von Junghans und Westclox nochmals belegen.
Die Pläne stammen aus der Zeit zwischen 1960 und 1962 und sind in nicht-metrischen Maßeinheiten geschrieben und gezeichnet. So wie es scheint, wurden die Pläne nicht unbedingt von einem Muttersprachler geschrieben, da sich einige Rechtschreibfehler wiederholen (z.B. Sekunentrieb (ohne d), auch fehlen Umlaute wie ü), auch die Zahlen sind in amerikanischer Schreibweise geschrieben (1 und 7).
Im rechten unteren Eck der Pläne stehen die Daten zu den einzelnen Uhren, beispielhaft ist die erste Ecke hier wiedergegeben:
DRAWN: K.Kiefer DATE: 5-2-60 SCALE: 20-1
MATERIAL: JUNGHANS J-55
NAME: CROSS SECTION
MODEL: GW6B
PART NO: E-104
Die Kaliberbezeichnungen wurden, wie oben bereits erwähnt, erst später von J55 (schon für ein Taschenuhrkaliber vergeben) in J56 geändert.
Das Taschenuhrkaliber J55 wurde zum Beispiel für die Firma Ingersoll (s.a. Der Ingersoll-Report) produziert:
Das Taschenuhrkaliber J55 zeigt keinerlei Zusammenhang mit den auf den Plänen gezeigten Uhren.
Endlich kann eine Westclox Watchlarm vorgestellt werden und, wie fast schon erwartet, befindet sich auch in diesem Innendeckel die Prägung CASE MADE IN GERMANY.
Die Grundkonstruktion des mit W5 MADE BY WESTCLOX LA SALLE ILL. USA geprägten Werkes erinnert an die oben gezeigten Uhren (z.B. Westclox W4).
Das Zifferblatt ist mit WESTCLOX SHOCK RESISTANT ALARM und unter der 6 mit LA SALLE, ILL. USA bedruckt. Es gibt Zifferblätter, denen der unter der 6 befindliche Aufdruck fehlt und auf der Rückseite GERMANY aufgestempelt ist (siehe unten).
Im direkten Vergleich mit einem Rückdeckel eines Junghans J89 Minivox Weckers fällt hier die klare Verwandschaft zur Machart der Junghans-Uhr auf. Beide Rückdeckel sind dreiteilig mit aufgenietetem Aussenreif und aufgenietetem Hebelchen für den Hammeranschlag aus der Mitte.
Auch hier könnten Junghans Konstrukteure beim Entwurf beteiligt gewesen sein. Gehäuse für Armbandwecker aus Deutschland gab es in den 60er Jahren nur von Junghans und Hanhart. Der Hanhart „Sans-Souci“ hat einen ähnlichen kleinen Hebel an der Gehäuseflanke zum An- und Abschalten der Weckfunktion.
Das sehr einfache Stiftankerwerk des Westclox Armbandweckers ist in Pfeilerbauweise konstruiert und lässt den Wecker ca. 9 sec. läuten. Mittels eines kleinen Schiebehebelchens an der Gehäuseflanke bei 9 wird der Alarm an- oder ausgeschaltet. Der Weckzeiger wird durch Druck auf den kleinen Drücker am Gehäuse (bei 1:30) gestellt und springt in ca. 15 Minuten-Schritten gegen den Uhrzeigersinn. Die Armbandwecker der Firma Westclox wurden in den Jahren 1960 und 1961 in Katalogen angeprießen.
Auch auf der Seite von Bill Stoddard und Gary Biolchini ist weitere Hintergrundinformation zu finden:
clockhistory.com/westclox/products/wristwatch/
Ein Poststempel präsentiert Westclox als weltgrößten Uhrenhersteller. Und das im Jahr 1968 aus Pforzheim!
Erneut zeigt ein Hinweis nach Pforzheim, zum 1992 insolvent gegangenen Zifferblatthersteller Bock & Schupp. Die Rechnung ist von 1958 für Teile des Kalibers Westclox W 5. Auf der Rückseite aller 20 Zifferblätter ist GERMANY gedruckt.
Zeiger, Rechnung und Zifferblätter konnten als Konvolut in den USA erworben werden.
Diese Variante des J56 für die Firma Diehl zeigt eine Unruhbrücke, die auch auf den Plänen der Automatikversion verzeichnet ist.
Für weitere Hinweise, auch kontroverse Meinungen zum Thema, für weitere Bildquellen oder Zusatzinformationen zur Zusammenarbeit zwischen Westclox und Junghans wäre ich sehr froh!